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Die Oberuferer Weihnachtsspiele

In den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts hatte der österreichische Germanist Karl Julius Schröer die Weihnachtspiele in dem abgelegenen Orte Oberufer auf einer Donauinsel bei Pressburg kennen gelernt und aufgeschrieben. Die Oberuferer Weihnachtsspiele wurden im 16. oder zu Anfang des 17. Jahrhunderts in dieser Gegend in einem Dialekt - dem "Donauschwabendeutsch" – gesprochen und blieb bis heute erhalten.

Die Bilder der Spiele sind aber so allgemeingültig, dass sie auch ohne Kenntnis der deutschen Sprache aufgefasst werden können und ihr Inhalt verstanden wird. Es sind in ihnen Perlen des deutschen Volksschauspieles aus einer Zeit vor der Entstehung des modernen Theaters.

Die Autoren der Spiele wussten, dass der Kontrast von Derbheit und inniger Erbauung beim Volke nicht herabstimmte, sondern erhöhte. Man kann diese Kunst bewundern, die aus dem Lachen heraus eine Stimmung frommster Rührung holt und gerade dadurch die unehrliche Sentimentalität fernhält. Etwas charakteristisches dieser Spiele war auch, dass die Spieler, bevor sie den Inhalt des Dargestellten vorführten, schon als ein Art Chor vor ihre Zuschauer traten. Ein Element, das den Fortgang der Handlung unterbrechend, an einzelnen Stellen des Stückes wieder vorkommt. Im überlieferten Sternengesang, welcher der Darstellung des Christgeburt-Spieles voranging, ist ein Einleitungschor erhalten, in dem die Spieler alles begrüßen, zu dem sie sich, bevor sie mit der Darstellung beginnen, in ein herzliches Verhältnis setzen möchten. Sie grüßen alles, was ihnen in dem für sie wichtigen Augenblick seelisch nahe liegt: Von der heiligen Dreifaltigkeit und den einzelnen Kategorien der Zuschauer bis zu dem Hölzlein ihres Sternes, den der Sternsinger trägt.

Die Oberuferer Weihnachtsspiele, an vielen Waldorfschulen alljährlich aufgeführt, sind zwar relativ alt, aber trotzdem höchst aktuell. Sie sind Urbilder des menschlichen Lebens; dies lässt sich an den Hirten und Wirten unmittelbar erleben.

Wie aber geht nun der Mensch mit dem um, was in ihm als neuer Mensch geboren werden soll? Auch auf diese Frage gibt das Spiel in Bildern Antwort: Der eine, ein alter Freund, weist es ab: die alten Bande aus der Vergangenheit tragen nicht mehr - er ist mit anderen "Gästen" beschäftigt.

Dem Nächsten ist es viel zu armselig, als dass er ihm Wohnung geben würde: schroff weist er die Bettelleute zurück. Und der dritte? Marias Klagen erweckt Mitleid in ihm - und er lässt die Geburt bei sich stattfinden - aber nicht da, wo er selbst wohnt (da ist schon alles "besetzt"!) - sondern da, wo dumpfes, gemüthaftes Seelenleben wohnt: im Stall, bei Ochs und Esel. Und wir? wo lassen wir die Geburt des neuen, zukünftigen Menschen in uns zu? Ist bei uns nicht auch alles besetzt, von der Geschäftigkeit des Alltags erfüllt? So lautet die Frage, die uns, höchst aktuell, die Wirte des Christgeburtspiels stellen.

Die Hirten dagegen gehen einen Weg und finden schließlich die Krippe. Derb sind sie, stehen ganz im Leben und die Frömmsten sind sie auch nicht. Aber sie suchen eben. Auch hier sind es drei und man möge beim Spiel einmal verfolgen, wie sie zusammenwirken: Zwei streiten und der dritte vermittelt dann jeweils. So wirkt ein Kompositionsprinzip durch das ganze Spiel hindurch. Nicht nur durch den Inhalt, sondern gerade durch diese Bewegung, die der Zuschauer ja mitmacht, wirken so die Spiele und dadurch sind sie echte Kunstwerke, oder in einem noch tieferen Sinn: sie führen uns in geistige Realitäten.

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